ADHS-Mythos: «ADHS hat es doch früher nicht gegeben, das ist doch eine Modeerscheinung» 

ADHS-Mythos: «ADHS hat es doch früher nicht gegeben, das ist doch eine Modeerscheinung» 

Manchmal stosse ich auf die Aussage: «ADHS hat es doch früher nicht gegeben, das ist doch eine Modeerscheinung» 

Gibt es die ADHS (Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung) wirklich erst seit kurzem?

Nein
, die ersten Erwähnungen liegen sogar einige Zeit zurück. Hier ein kleiner geschichtlicher Abriss (Faraone et al., 2021; Lange, Reichl, Lange, Tucha & Tucha, 2010; Taylor, 2011; Weikard, 1799):
  • 1775: Melchior Adam Weikard, ein deutscher Arzt, lieferte die erste lehrbuchmässige Beschreibung einer Störung mit den Merkmalen von ADHS.
  • 1798: Alexander Crichton vom Royal College of Physicians im Vereinigten Königreich beschrieb eine ähnliche Störung in einem medizinischen Lehrbuch.
  • 1845: Heinrich Hoffmann, später Leiter der ersten psychiatrischen Klinik in Frankfurt/Main, beschrieb Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizite in einem Kinderbuch.
  • 1887-1901: Désiré-Magloire Bourneville, Charles Boulanger, Georges Paul-Boncour und Jean Philippe beschrieben ein Äquivalent von ADHS in französischen medizinischen und pädagogischen Schriften.
  • 1902: George Still, ein Arzt im Vereinigten Königreich, äusserte sich erstmals über die Störung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift.
  • 1907: Augusto Vidal Perera schrieb das erste spanische Handbuch der Kinderpsychiatrie und beschrieb die Auswirkungen von Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität bei Schulkindern.
  • 1917: Der spanische Neurologe und Psychiater Gonzalo Rodriguez-Lafora stellte die Symptome von ADHS bei Kindern dar und nahm an, dass sie wahrscheinlich durch eine genetisch bedingte Hirnstörung verursacht wurden.
  • 1932: Franz Kramer und Hans Pollnow aus Deutschland äusserten sich ausführlich über ein ADHS-ähnliches Syndrom und prägten den Begriff «hyperkinetische Erkrankung».
  • 1937: Charles Bradley aus den USA entdeckte, dass ein Amphetamin-Medikament ADHS-ähnliche Symptome lindert.
  • 1940er: ADHS-ähnliche Symptome wurden bei Kindern als «minimale Hirnfunktionsstörung» beschrieben.
  • 1956-1958: Erster Hinweis in einer Längsschnittstudie zur Persistenz von Verhaltensweisen, die mit minimalen Hirnfunktionsstörungen verbunden sind, bis ins Erwachsenenalter.
  • 1960er: Die U.S. Food and Drug Administration genehmigte Methylphenidat (Ritalin) für Verhaltensstörungen bei Kindern.
  • 1970er Jahre bis heute: Diagnostische Kriterien für ADHS entwickelten sich auf der Grundlage von Forschungsergebnissen, die bis heute zeigen, dass die Diagnose das Ansprechen auf die Behandlung, den klinischen Verlauf und die Familiengeschichte der Störung vorhersagt.

Interessiert an noch mehr Fakten über die ADHS? Diese gibt es auf der Homepage der «ADHD World Federation» https://www.adhd-federation.org und in meinem ADHS-padlet: https://padlet.com/werner_krammel/ads_adhs 


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Quellenangaben:
Faraone, S. V., Banaschewski, T., Coghill, D., Zheng, Y., Biederman, J., Bellgrove, M. A. et al. (2021). The World Federation of ADHD International Consensus Statement: 208 Evidence-based conclusions about the disorder. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 128, 789–818. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2021.01.022

Lange, K. W., Reichl, S., Lange, K. M., Tucha, L. & Tucha, O. (2010). The history of attention deficit hyperactivity disorder. ADHD Attention Deficit and Hyperactivity Disorders, 2(4), 241–255. https://doi.org/10.1007/s12402-010-0045-8

Taylor, E. (2011). Antecedents of ADHD: a historical account of diagnostic concepts. ADHD Attention Deficit and Hyperactivity Disorders, 3(2), 69–75. https://doi.org/10.1007/s12402-010-0051-x

Weikard, M. A. (1799). Der philosophische Arzt. 3 Philosophische Arzeneykunst oder von Gebrechen der Sensationen, des Verstandes, und des Willens. Frankfurt am Main: in der Andreäischen Buchhandlung.