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Inchstones Blog

Was gibt es neues im Bereich der Psychologie, der Forschung über ADHS und ASS, der psychischen Gesundheit und des Lernens und der Ausbildung? In diesem Blog sammle ich Artikel über diese Themen.

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Ich, autistisch: «Es gibt halt einfach verschiedene Menschen»

Um Autismus ranken sich zahlreiche Mythen und Vorurteile: Autisten sind Mathegenies und schauen einem nicht in die Augen. Was genau hinter der Entwicklungsstörung steckt, das wissen die wenigsten.

In dieser knapp 30-minütigen Arte-Doku aus der Reihe «Psycho» berichten Betroffene, wie sie die Welt sehen. «Es gibt halt einfach verschiedene Menschen» (Christine, Betroffene)

https://www.arte.tv/de/videos/105596-001-A/psycho/?fbclid=IwAR0bzJSjT_CeZcICNdMhYcN1cQ8Tw3sBO_e2XXb5...

Bundesgericht gibt ASS-Betroffenem Recht: IV muss über die Bücher

Das Bundesgericht in Luzern fällte am 12.09.2022 einen bemerkenswerten Entscheid in einer Beschwerde eines ASS (Autismus-Spektrum-Störung) Betroffenen gegen die IV-Stelle Schwyz (9C_131/2022).

Der ASS-Betroffene (geb. 2004) hatte aufgrund seiner ASS-bedingten Beeinträchtigungen Schwierigkeiten einen Lehrbetrieb zu finden. Es gelang ihm aber trotzdem den Weg einer beruflichen Ausbildung einzuschlagen um selbständig und unabhängig für sein Leben und seinen Lebensunterhalt verantwortlich zu sein: Über ein Privatgymnasium strebt er ein Hochschulstudium an. Das Privatgymnasium gibt ihm die Möglichkeit auf seinen Ressourcen aufzubauen und sich weiter zu entwickelten, damit seine ASS-bedingten Symptomatiken ausgeglichen werden. Ein neuropsychologisches Gutachten bescheinigt ihm auch die Fähigkeit, eine Matura und einen Hochschulabschluss erfolgreich zu absolvieren. Die bereits gemachten Erfahrungen im Privatgymnasium zeigen, dass dem jungen Mann dies auch gut gelingt: Er benötigte mittlerweile keine schulische Begleitung und Unterstützung mehr.

Die Eltern bzw. er beantragten bei der IV die Übernahme der aufgrund der Beeinträchtigung entstandenen Mehrkosten für das Privatgymnasium. Diese lehnte ab, da sie die Ausbildungsfähigkeit - vor allem auf Hochschulebene - in Frage stellte.

Das Bundesgericht kritisierte nun die IV-Stelle und die Vorinstanz, weil die Entwicklung des jungen Mannes bei den Entscheiden nicht berücksichtigt wurde. Das Bundesgericht zitiert in seinem Urteil ein Expertengutachten: „Durch intensive Schulungs- und Trainingsmassnahmen, durch den grossen Anpassungswillen des Versicherten sowie durch eine gute familiäre Unterstützung sei es gelungen, die Symptomatik gut zu kompensieren“.

Kritisiert wurde ausserdem, dass die Vorinstanzen die Ablehnung der Kostenübernahme mit einer - aus IV-Sicht - schlechten Aussicht auf ein erfolgreiches Hochschulstudium und schlechte berufliche Aussichten begründete:

„[..] beruhen die Schlussfolgerungen der Fachleute, auf die die Vorinstanz abgestellt hat, auf einer unzutreffenden Fragestellung, dies sowohl was die Eingliederungsfähigkeit als solche als auch was den prognostizierten Leistungsgrad betrifft. Massgebend ist nicht der breite Markt an Stellen, die grösstenteils nicht auf die Einschränkungen und besonderen Bedürfnisse einer Person mit einer Autismus-Spektrum-Störung zugeschnitten sind. Als Referenz dient vielmehr der existierende besondere (Nischen-) Arbeitsmarkt für Menschen mit Autismus. Dieser setzt sich aus Stellen zusammen, die einerseits mit dem Störungsbild typischerweise verbundene kognitive Stärken nachfragen und anderseits autismusspezifische Defizite auffangen (z.B. durch eine reizarme, beständige Arbeitsumgebung und klar strukturierte Aufgaben). Die voraussichtliche Eingliederungswirksamkeit sowohl der gymnasialen Ausbildung selbst wie auch eines allenfalls folgenden Hochschulstudiums kann jedenfalls nicht gestützt auf die […] zitierten Einschätzungen verneint werden.“

Das Bundesgericht hob die Entscheide der IV und des Verwaltungsgerichts auf. Somit ist die IV wieder am Zug, die Situation neu zu bewerten.

Warum ist dieser Bundesgerichtentscheid so bemerkenswert?
  1. Die IV muss die Entwicklung eines Betroffenen berücksichtigen. Sie darf sich nicht nur auf die Aussagen des eigenen ärztlichen Dienstes (RAD) abstützen.
  2. Die Prognose für den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung hat sich auf die betroffene Stufe zu begrenzen.
  3. Das Potential von ASS-Betroffenen wurde vom Bundesgericht gewürdigt.
  4. Ein Entscheid der IV ist nicht einfach hinzunehmen, sondern sollte hinterfragt werden. Es ist wichtig, Betroffene dabei zu unterstützen und sich für sie einzusetzen, damit sie zu ihrem Recht kommen. Damit kommen die Betroffenen dem Ziel näher, selbstbestimmt das eigene Leben in die Hand zu nehmen und Handlungskompetenz und eine Selbstwirksamkeit zu erlangen.
Links:
Bundesgericht: https://www.bger.ch/
Was ist eine ASS? Padlet Wissen ASS

Wo gibt es eine Rechtsberatung? 

ADHS / ASS Diagnosen an den Augen ablesbar?

Die Netzhaut reagiert bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) und ASS (Austismus-Spektrum-Störung) Betroffenen anders als bei Nichtbetroffenen.

In einer Studie mit 55 ASS und 15 ADHS Betroffenen stellte eine Forschungsgruppe in einer Publikation in Frontiers in Neuroscience signifikante Unterschiede zu 150 gleichaltrigen Nichtbetroffenen fest. Dabei wurden Differenzen in der elektrischen Aktivität der Retina (Netzhaut) bei einem Lichtreiz festgestellt. ASS Betroffenen zeigten weniger elektrische und ADHS Betroffene mehr elektrische Energie.

Dr. Paul Constable (Forscher an der Flinders University) sagt, die vorläufigen Ergebnisse seien vielversprechend für eine verbesserte Diagnose und Behandlung in der Zukunft.

«ASS und ADHS sind die häufigsten neurologischen Entwicklungsstörungen, die im Kindesalter diagnostiziert werden. Da sie aber oft ähnliche Merkmale aufweisen, kann die Diagnose beider Erkrankungen langwierig und kompliziert sein», sagt Dr. Constable.

«Unsere Forschung zielt darauf ab, dies zu verbessern. Indem wir erforschen, wie Signale in der Netzhaut auf Lichtreize reagieren, hoffen wir, genauere und frühere Diagnosen für verschiedene neurologische Entwicklungsstörungen zu entwickeln.

Wenn wir also diese Unterschiede identifizieren und sie auf bestimmte Bahnen lokalisieren können, die verschiedene chemische Signale nutzen, die auch im Gehirn verwendet werden, dann können wir deutliche Unterschiede bei Kindern mit ADHS und ASS und möglicherweise anderen neurologischen Entwicklungsstörungen aufzeigen.

Diese Studie liefert erste Beweise für neurophysiologische Veränderungen, die nicht nur ADHS und ASS von normal entwickelten Kindern unterscheiden, sondern auch Beweise dafür, dass sie anhand von biologischen Merkmalen voneinander unterschieden werden können.»

Artikel bei spektrum.de: https://www.spektrum.de/news/adhs-oder-autismus-diagnose-laesst-sich-an-den-augen-ablesen/2042068